Mykola Rudenko

Rudenko, Mykola Danylowytsch (19. Dezember 1920 das Dorf Jurjiwka bei Lutuhynе im Gebiet Luhansk – 1. April 2004 Kyjiw)

Dichter, Menschenrechtsverteidiger.

Mit sechs Jahren wurde Mykola Halbwaise: sein Vater, Bergbauer, kam bei der Arbeit in der Grube, ums Leben. Mit sieben erblindete der Junge bei einer Kinderschlägerei an einem Auge. Als Kind musste er Entkulakisierung und Hungernot 1933 miterleben. 

1939 wurde Rudenko auf die Fakultät für Philologie der Schewtschenko-Universität Kyjiv immatrikuliert. Sein Studium dauerte aber nur zwei Monate, weil wegen des nahenden Krieges wurden die Erstsemestler einberufen. Trotz der Blindheit an einem Auge zog der Junge freiwillig auf die Front. "Ohne die Schanzenabhärtung im Krieg würde ich die Konzentrationslager nicht überleben, ich wäre dort ums Leben gekommen — wie meine Schicksalsgefährten Wassyl Stus oder Oleksa Tychyj" — schrieb er in seinen späteren Erinnerungen.

Im Krieg wurde Rudenko schwer verletzt, erlebte die Leningrader Blokade. In die Ukraine kehrte er mit zwei Kriegsorden, sechs Kampfmedaillen und der Lyriksammlung "S pochodu" (deutsch: Vom Kriegsmarsch). Bereits 1946 wurde er zum Mitglied des Schriftstellerverbandes und zum Sekretär der Parteiorganisation des Verbandes. Infolge seiner Verteidigung der repressierten Autorin Sinaida Tulub und seiner Weigerung, an der auf die Vernichtung der jüdischen Intellektuellen gerichteten Kampagne teilzunehmen, entstand zwischen Rudenko und dem damaligen Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes Oleksandr Kornijtschuk ein heftiger Konflikt. Ab 1950 gab Rudenko alle Ämter auf und verzichtete auf alle Privilegien der sowjetischen Parteielite.

Mit der Zeit las er Marxens "Kapital" mit frischem Blick und stellte sein Verstehen des Problems zuerst in philosophischen Werken "Wirtschaftliche Monologe" und "Energie des Fortschritts" und später im Roman "Formula Soncia" dar (deutsch: Die Formel der Sonne). Er schrieb einen Brief an den Generalsekretär der UdSSR Nikita Chruschtschow, in dem er das Parteisystem der Kritik unterzog, er trat öfter auf öffentlichen Parteiversammlungen auf. 1974 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, ein Jahr später — aus dem Schriftstellerverband. Um Lebensunterhalt zu haben, verkaufte er sein Auto und seine Datscha und fand eine Nachtwächterarbeit.

Auf der Suche nach der Gerechtigkeit unterhielt Mykola Rudenko Kontakte mit russischen Dissidenten, unter anderen mit Andrej Sacharow. Bald wurde er Mitglied der Amnesty International. 

Am 18. April 1975 wurde er zum ersten Mal verhaftet, aber dank seinem Status des Kriegsveteranen hat ihn die Gerichtsverhandlung freigesprochen. Nur durch Wunder entkam er der zwanghaften Psychiatriebehandlung.

Sein Schicksal war bestimmt. Am 9. November 1976 gab Rudenko in der Moskauer Wohnung von Andrej Sacharow Pressekonferenz für ausländische Journalisten, in der er die Gründung der Ukrainischen Helsinki-Gruppe verkündete. Noch an demselben Abend haben die Unbekannten Rudenkos Wohnung im Kyjiwer Vorort Puschtscha Wodytsia mit Ziegelsteinen beworfen demoliert.

In der Nacht vom 23. auf 24. Dezember 1976 wurde bei Rudenko eine Wohnungsdurchsuchung durchgeführt, bei der in der Wohnung 39 amerikanische Dollar "entdeckt" wurden (das damals übliche Verfahren des Zuschiebens der Indizien bei den Durchsuchungen). Rudenko erhielt sieben Jahre Lager der strengen Vollzugsart und fünf Jahre Verbannung. Publizistik, literarische Werke und mündliche Statements von Rudenko wurden als "diffamierende" qualifiziert, aus den Bibliotheken und Privatsammlungen wurden seine Bücher entfernt. 

Nach der Freilassung im Dezember 1987 beantragte die Familie Rudenko die Erlaubnis nach Deutschland auszureisen. Aus Deutschland übersiedelte die Familie in die USA, wo Mykola Rudenko für die Radiosender "Radio Free Europe" und "Voice of America" arbeitete und die Auslandsvertretung der Ukrainischen Helsinki-Gruppe leitete. Später wurde er Vorsitzender der Ukrainischen Helsinki-Gruppe. 1988 erklärte das Bildungswissenschaftliche Zentrum in Philadelphia Rudenko zum "Hervorragendsten Ukrainer des Jahres" für seine feste Position in der Verteidigung der nationalen Rechte des ukrainischen Volkes und der ukrainischen Kultur. 

 
Mykola Rudenko

Im September 1990 wurde Rudenko rehabilitiert. In letzten Lebensjahren lebte er in Kyjiw. Sein Grab ist in Kyjiw auf Bajkowe-Friedhof.

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Warum ist es wichtig, aktuell über Dissidenten zu sprechen

Vorwort des Redaktors der Historische Wahrheit, Vakhtang Kipiani